Ich fahre morgens gerne mit dem Fahrrad zum Bäcker bei EDEKA. Wenn ich vom Distelweg auf den Hölleweg komme, dann leuchtet mir die Morgensonne entgegen. Warmes, rotes Licht geht da über den Bergen hinter Roringen auf. Eine wunderbare Erfahrung. Wenn du dem Hungrigen dein Brot brichst, „dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte“.
Und wenn wir unsere Runde am Waldrand und zurück durch die Feldmark am Osterfeuerplatz vorbei unseren Weg machen, dann begleitet uns die Abendsonne. Wir sehen unsere langen Schatten vor uns. „Die Gerechtigkeit wird vor dir hergehen“, wir drehen uns um und sehen sie, die wärmende Sonne im Westen. „Die Herrlichkeit des Herrn wird deinem Zug folgen“. Wunderbar. Und Gott wird rufen: „Hier bin ich“.
So wird es sein, wenn du dem Hungrigen Brot gibst, Obdach dem, der kein Haus hat, Kleidung dem Nackten. Licht und Wärme. Der Prophet ist ein guter Prediger. Ein kluger.
Er weiß, wie man abends die Ziegen in den Stall lockt. Du nimmst einen langen Stock, hängst an ihr Ende eine Runkelrübe, stellst dich hinter sie und hältst ihnen die Rübe vor die Nase, dann gehen sie von selber. Wer Menschen überzeugen will, Gutes zu tun, muss nicht ermahnen, sondern locken, nicht moralisieren.
Es war damals schon etwas schief im Lande, darum die Botschaft des Propheten. Aber auch heute ist etwas schief.
Da kämpfen diese Monate so viele Selbständige und Kunstschaffende um ihre Existenz. Und der DAX, der Indikator für die Aktiengeschäfte steigt und steigt. Da werden am Ende der Pandemie viele Arbeitslose vermutet, weil Firmen gemerkt haben, es geht mit weniger -so das Kieler Institut für Weltwirtschaft diese Woche- und da wird Jeff Bezos um 30 Mrd. reicher und zahlt seinen Mitarbeitern geringe Löhne. Der Kapitalismus brüllt in der Krise.
Da kämpfen Pflegende und Ärzte an den Krankenbetten um Leben, da halten die Erzieherinnen den Stress der Eltern und Kinder aus, und da sitzen hinter feinstem Glas in Büros die Männer an ihren Computer und bewegen Mrd. Dollar und Euro von A nach B in Sekundenschnelle, sie spekulieren auf Erfolg und Niedergang, kaufen mit Leerverkäufen ohne eigenes Geld. Geld machen mit Geld, nicht mit der Schaffung von Produkten. Das ist das Ende der Gerechtigkeit.
Es stimmt was nicht in diesem Lande. Was wächst, wird unter Wert verkauft. Ich kaufe gestern bei meinem Katlenburger Gemüsehändler auf dem Wochenmarkt für eine halbe Woche ein. „9 €“ sagt sie. „Das ist zu wenig, das ist aber mehr wert“. „Geben Sie mir einfach 9 Euro“, sagt sie. Wasser ist teurer als Milch. Ich bin Bauernsohn aus Ostfriesland. Wir haben Milch zu Hause verkauft. Ich habe sie als Schüler ausgegeben. 1965 war das. Die Milch kostete damals 50 Pfennig. Die Kühe gaben damals schon 30 Liter am Tag. Heute geben sie mit vielen Zusatzmitteln 40 Liter. Wenn es schlecht läuft, bekommt mein Neffe 26 Cent für das Liter, nicht mehr als vor 50 Jahren. Da müssen die Kühe aufgepeppelt werden mit Silage und Soja, mit viel Dieselöl aus den USA herangeschifft. Es stimmt etwas nicht im Land.
Es stimmt was nicht im Lande. Wir haben genug zu essen, wollen dafür aber wenig ausgeben.
Wohlstand verändert den Menschen.
Das muss so sein, sagen Experten, der Konsum, die Gier ist eine treibende Kraft, damit niemand arm bleibt. Doch das stimmt nicht. Je mehr das Wachstum, desto mehr Reiche und desto mehr Arme. Ja, wer fastet denn da! Die Witwe mit 600 € Rente fastet, 365 Tage im Jahre. Da geht keine Gerechtigkeit vor ihnen her. Nein. Unser Land hat mit der sozialen Marktwirtschaft zu wachsen begonnen, seit 2008, der Finanzkrise, brüllt der Kapitalismus, Menschen werden zu Verlierern, verzagen, wählen rechts.
Ja, wir müssen fasten, ein paar Tage im Jahr uns in Sack und Asche kleiden, sagen die Leute damals. „Ja, und danach geht Ihr wieder Euren Geschäften nach“, sagt der Prophet. Nein, so nicht. Du musst auf einen Selbstfindungstrip gehen, dann rettest du die Welt. Spiritualität ist seit Jahren das Zauberwort, du musst dich in dir selber suchen. Nein, brich dem Hungrigen dein Brot, sagt der Prophet. Wir sind nicht zu Egoisten bestimmt.
Wir sind soziale Wesen. Das ist unser christliches Ethos. Ich muss Ihnen einen kurzen philosophischen Exkurs zumuten:
Wir beginnen unser Leben als ein Es. Das Kleinkind. Wir werden versorgt. Dann kann der Mensch bald „Ich“ sagen. Der Höhepunkt ist in der Pubertät. Ich. Und das muss so sein. Das ist gut so. Dann nehme ich bewusst das „Du“ wahr, mein Gegenüber. Ich brauche das Du, damit ich weiß, wo ich verletzlich bin, wo ich wahrgenommen werde. Ich lerne mich selber kennen. Ich werde erwachsen. Ich werde ein „Selbst“. Ich kenne Selbst-Verantwortung. Selbst-Bewusstsein, Selbst-Kritik, es wird für mich selbst-verständlich. Das DU erweitert mein Selbst. Am Du werde ich immer mehr ich Selbst. Der große jüdische Philosoph Ernst Bloch hat das so beschrieben, dass sich das Ich am Du entwickelt. Und das wichtigste, sagt er, ist das Zwischen. Das was zwischen uns in der Begegnung passiert.
Wir können nie mit uns selbst allein zufrieden sein.
Die griechische Mythologie erzählt von Narziss, dem Erfinder des Nazismus. Narziss liebt nur sich selbst. Als die Nymphe Echo ihn unsterblich liebt, kann er das nicht annehmen. Er schaut lieber auf den Wasserspiegel in einem Teich und findet sich schön. Als von einem darüber hängenden Ast etwas ins Wasser fällt und Ringe im Wasser bildet, da verzerrt sich sein Bild. Er kann sich nicht mehr ertragen und nimmt sich das Leben.
Nein, ich brauche dich. Ich bin ein soziales Wesen. Du bist mein Segen. Denn es kommt der Tag, an dem du aus allen Selbstverständlichkeiten herausgerissen wirst. Du wirst auf die Stimme lauschen, die nicht mehr spricht. Auf die Schritte warten, die nicht mehr kommen. Wer sich auf sich selbst beschränkt, der kann vergessen werden.
Wenn du aber dein Brot mit dem Hungrigen teilst, sagt der Prophet, dann bist du wichtig, dann braucht man dich, dann wirst du einen Namen haben. Ein Aufstand der Liebe ist nötig. Brot, Obdach, Kleidung geben „Und nicht übel reden“, sagt der Prophet.
„Wenn du dein Brot teilst. Dann wirst du aufrichten, was vorzeiten gegründet war und was verloren gegangen ist“.
Und du wirst einen Namen haben. Wegeverbesserer wirst du heißen. Sie kennen alle unseren Hohlweg in die Stadt über Hoffmanshof zum Nikolausberger Weg. Das Straßenpflaster war so schlecht, man ärgerte sich, weil offenbar wurde, dein Auto wird älter, irgendwas rumpelt. Nun haben sie letzten Jahr den Belag neue gemacht. Wegeverbesserer, auf leichten Rädern in die Stadt fährst du. Wegeverbesserer werdet Ihr genannt werden, wenn Ihr teilt, dass wir nicht stolpern in die Zukunft, die Natur verbrauchen und zerstören.
„Brich dem Hungrigen dein Brot“. Wo du Brot teilst, da heißt es. „Siehe, hier bin ich“. „Du wirst sein eine Wasserquelle, ein bewässerter Garten“. Der Prophet überschlägt sich in seinen Bildern. Liebe Gemeinde, ich wollte ihnen heute eine Runkelrübe hinhalten.
Ich schließe mit einem der für mich eindrucksvollsten Bilder. Die Bildhauerin Käthe Kollwitz schreibt 1915 in ihr Tagebuch, als ihr Sohn gefallen ist:
„Du kommst auf die Welt mit geballten Fäusten“. -Die Mütter unter uns haben, werden das bestätigen.-„Du kommst auf die Welt mit geballten Fäusten, so als wolltest du sagen: „Mir gehört die Welt“. Du verlässt sie als Sterbender mit offenen Hände“. Siehe, ich bin bedürftig ,alles muss mir geschenkt werden.
Und dann faltet man einmal deine Hände, wenn du im Sarg liegst. Als Bittender trittst du vor deinen Gott. Das letzte Wort Luthers ist überliefert, dass er gesagt hat. Am 18.Februar 1546 war das. Sein Letztes Wort: „Wir sind Bettler, das ist wahr“.