„Wie aus Jesus von Nazareth der liebe Sohn Gottes wird“
Die Nachbarin schaut in den Kinderwagen, drückt das Kissen etwas herunter und sagt: „Ganz der Vater“. Die junge Mutter lächelt, der junge Vater strahlt. So ist es. Die Ähnlichkeit erfreut. Die Kontinuität. Man weiß, wo man her kommt.
Jahre später. Die Mutter beobachtet wie der Vater mit dem Jungen am Strand geht, derselbe Gang, ganz der Vater. Er hat auch die Körperbewegungen angenommen. Überall erkennen sie in ihm seinen Vater wieder. Seine Sensibilität, sein Wesen, seine Ausdrücke.
Als er 12 ist, sieht sein Kinderzimmer aus wie bei Hempels unterm Sofa.
„Du läßt deine Sachen liegen, wo es dir gerade gefällt. Ganz der Vater, sag ich“, schimpft die Mutter.
Aber spätestens auf dem Familien-Foto zum Abitur sind sich alle einig. Die beiden sind sich wie aus dem Gesicht geschnitten. Er macht sein Praktikum bei Sartorius. „Ach, sind Sie nicht der Sohn von…“. Er seufzt innerlich, er kennt das schon. „Sind Sie nicht?“-„Ja, ja, ja“, denkt er ärgerlich. Er träumt davon, dass sie irgendwann mal den Alten sehen und laut rufen: „Sind Sie nicht der Vater von…“. Als er 65 wird, sagen, die ihn lange kennen. „Er wird seinem Vater immer ähnlicher, seine Gesichtszüge, seine Nase, seine hohe Stirn“.
Du willst wissen, woher du kommst, wohin du gehörst. Wir kommen nicht aus dem Nirgendwo. Wir kommen von Mutter, vom Vater. In meiner Heimat Ostfriesland drückt es sich bis in die Namensgebung aus. Janssen, Jan sin sön. Behrends, Behrend sein Sohn. Hinrichsen, Hinrich sein Sohn. Jacobsen. Friedrichsen.
In der Welt Jesu ist das nicht anders. Jakob, Sohn Isaaks. Johannes, Sohn des Zebedäus. Dasselbe kann auch für die Mütter und Töchter gelten.
Vater und Sohn, Mutter und Tochter sind wesensgleich. Es geht um Kontinuität und Zugehörigkeit. So entsteht, dass Jesus Sohn Gottes genannt wird.
Er hat viele Namen im Neuen Testament. Messias in der Tradition der Erwartung des Erlösers. Davids Sohn, seine Abstammung. Menschensohn, Menschensohn, ben Adam, Sohn von Adam, dem ersten Menschen, er ist der Vertreter der Menschen. Ein Prophet ist er, weil er die Verheißungen der Väter und Mütter kennt. Rabbi, weil er die Thora lehren kann. Heiland, weil er heilt. Herr, Kyrios, in der Anrufung. König als Gegenbild zu den Königen, die Gewalt ausüben. Er ist der Christus, der Gesalbte, der von Gott Auserwählte. Und eben: der Sohn Gottes. Sohn Gottes ist kein Alleinstellungsmerkmal Jesu. Der Pharao wird so genannt, Platon, Pythagoras, den mit den Quadraten über der Hypothenuse. Alexander der Große, der Eroberer wird so genannt. Herakles. Also kein neuer Gedanke. Für Johannes ist Jesus der Sohn Gottes, der beim Vater ist, dann auf die Erde kommt, dann zurück geht zu ihm. Also prä-existent. “. Lukas verbindet die beiden Gedanken. Er ist Sohn Gottes seit der Geburt. Die Engel rufen den Frieden aus „allen Menschen seines Wohlgefallens“. Wir gehören zu dem Sohn Gottes, an dem er Wohlgefallen hat.
Was Markus und Matthäus sagen, ist historisch am plausibelsten. Für sie ist er der Messias, Menschensohn, Rabbi, Prophet, der Gottessohn wird er erst durch die Auferstehung. Von Ostern her gedacht machen sie ihn im nach hinein zum Gottessohn. Und nehmen es als literarisches Gestaltungsprinzip. Gott proklamiert in der Taufe „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“. Es wird bestätigt durch die Verklärung. „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Er wird von der Welt erkannt durch den römischen Hauptmann unter dem Kreuz. „Wahrlich, das ist Gottes Sohn gewesen.“ Wie drei Säulen im Evangelium, am Anfang, in der Mitte, am Ende proklamiert, mit der Auferstehung ist er es.
Zurück zu der Geschichte:
Da gehen die Zwölf und die Frauen ein Jahr lang mit ihm alle Wege, haben das Vertraute verlassen. Sie sehen viel, sie begreifen manches nicht, sie wundern sich. Sehen seine Wunder, sein Rückzug in die Stille, seine Reden, Vieles bleibt ein Geheimnis. Sie gehen die Mühen der Ebene. Und da dürfen drei von ihnen mit auf den Berg. Wo man anders sieht, wo man weiter sieht. Du machst eine Bergwanderung, erklimmst den Gipfel, siehst in die Weite, siehst ins Tal, den Weg, den du gegangen bist. So geht es den Dreien. Sie erkennen sein Wesen. Er ist der Sohn Gottes. Sie sehen, in welchem geistlichen Zusammenhang er steht. Ein Mann des Gottes-Bundes. Mose. Ein einsamer Prophet in der Wüste. Elia. Was sie sehen, ist eine Verwandlung, eine Metamorphose, seine äußere Gestalt nimmt eine andere an. Wolke, Licht und Sonne. Gestaltungsformen der Gegenwart Gottes. Sie müssen mal den Sonnenaufgang in unserer Klosterkirche, hier im Chorraum erleben. Gott ist gegenwärtig. Kein Wunder, dass Petrus da bleiben will. „Wir wollen euch Hütten bauen“. Nein, es geht wieder ins Tal,
wo ihr nicht seht, sondern glaubt. Sagt es nicht weiter, erst wenn ich auferstanden bin. Nach Ostern bin ich als Gottes Sohn bekannt.
Nach Ostern wird er der Sohn genannt. Das Bekenntnis wurde hart erkämpft. Im ältesten Bekenntnis der Kirche heißt es ganz knapp: Jesus ist der Christus. Dann beten sie: „Ich glaube an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn“. Damit war die Diskussion nicht zu Ende. Wesens-eins, wesens-gleich oder wesens-ähnlich? Die Fischfrauen auf dem Markt in Alexandrien schmissen sich im Streit darum die Heringe an den Kopf. Schließlich 325 im Bekenntnis, dem Nicänum. „ Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, Gott von Gott. Licht von Licht, eines Wesens mit dem Vater“. Wir erspüren den feinen Unterschied, wenn wir sagen: Ganz der Vater. Im Wesen gleich oder er ist ihm ähnlich. 381 auf der Synode in Konstantinopel bestätigt.
Wir haben das Bekenntnis übernommen. Wir nennen ihn den Sohn Gottes. In ihm erkennen wir das Wesen Gottes. „Ganz der Vater“.
Der Sohn Gottes formt unser Gottesbild. Vater und Sohn gehören zusammen. In unserem Alltags-Glauben ist das nicht so leicht. Gott hat die Welt erschaffen. Ich erlebe ihn in der Natur, im Schweigen. Ich mache Erfahrungen der Bewahrung und sage „Gott sei Dank“. „Kommen Sie mir nicht mit Jesus“, sagen sie mir die Bauern im kargen Weserbergland. „Den brauch ich nicht“. Nie würde er ein Gebet beginnen mit „Jesus Christus, ich bitte dich“.
„Mit Gott kann ich nichts anfangen“, sagen die anderen. Der ist weit weg, der ist unsichtbar, unheimlich, ungreifbar, unangreifbar. Jesus von Nazareth, ja ist okay. Der ist menschlich, der versteht was, wenn ich leide, der weiß was vom Tod und Todesangst. Der weiß, was mich beschäftigt.
Gott in der Natur, nein. Ein einziger Krebserkrankter widerlegt die Schönheit der Natur. Ohne Jesus wäre Gott nach Auschwitz tot.
Nein. Jesus selber vermittelt uns den Glauben an seinen Vater. Von seinem Gott wie er ihn aus dem Alten Testament kennt. Die Verbindung der beiden ist unauflöslich. Darum beten wir: „Gott unser Schöpfer. Jesus, Gottes Sohn und Heiland. Hl Geist, der du uns den Glauben vermittelst.
Nein, er ist ganz der Vater. Wer das leugnet, der ist ein Lügner, sagt Johannes ziemlich schroff und klar.
So haben wir unseren Glauben von dem Sohn her. Wer ihn sieht, der sieht den Vater. Sohn nicht biologischer Abstammung, sondern Beziehungsbegriff. Sohn heißt: Es ist wahr.
Das alles versammelt sich in der genialen Geschichte vom verlorenen Sohn. Der Sohn, der nicht mehr Sohn des.. sein will, darf gehen in Freiheit, scheitert und wird mit offenen Armen empfangen vom Vater. Ein Festessen, neues Kleid, ein Ring. Die Erinnerung an Vater und Mutter hat ihn gerettet und umkehren lassen. Absichtslose Liebe ist das.
So haben wir also von ihm unser Gottesbild.
Kein Kriegstreiber. Keiner, der Gesetze einklagt. Keiner, der Frauen niedriger stellt. Keiner, der Kinder zurücksetzt. Kein verklemmter. Keiner, auf den Terrorgruppen sich berufen können.
Konsequent gewaltlos. Barmherzig. Er wendet sich dem Hilfsbedürftigen zu. Er sieht und achtet das Kleine. Er ermutigt zur Wahrheit. Seine Werte sind: Sanftmut, Hunger nach Gerechtigkeit, Wissen, um die Bedürftigkeit. Beistand im Leiden. Und der uns frei gibt, das Leben selber zu verantworten. Scheitern mit einberechnet. Fehlerfreudigkeit. Ganz der Vater. Verkörperung Gottes. Ich verstehe manchmal gar nicht, warum wir nicht stolz sind, solchen einen Gott zu wissen, zu kennen, zu erfahren. Den wir offen bekennen. Für den wir uns nicht schämen. Verstehen Sie das? Unsere Gesellschaft wäre ohne ihn verloren.
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