Predigt am 28.Februar 21 über Jes 5, 1-7 in Nikolausberg Sup i.R. Heinz Behrends

Mon, 01 Mar 2021 12:47:06 +0000 von Thomas Markschies

Predigt
© Heinz Behrends
Sup.i.R. Heinz Behrends
Es ist ein wundervoller Herbstmorgen. Meine Frau und ich gehen durch das Tor von Kientzheim, dem Städtchen im Elsass. Vor uns liegen die sanften Hügel, bewachsen mit Wein. Ein großer Garten Gottes, Weinberge, so weit die Blicke reichen. Mauern aus altem Stein bilden die Terrassen, auf denen die einzelnen Felder fest stehen. Die Mühe und die Frucht der Arbeit der Menschen, die hier in Generationen Wein anbauen. Strukturen geschaffen. Felder am Hang angelegt. Berauschender Blick. Hier und dort ein kleines Häuschen, früher zum Ausruhen für den Weingärtner, fürs Gerät. In einzelnen Feldern ist der Wein noch nicht geerntet. Kräftige Trauben, rot-blau, hängen dicht an dicht. Ich nehme mein Taschenmesser, schneide eine Traube ab. Meine Frau und ich genießen den frischen Saft und gehen weiter. Wir halten an bei der jungen Frau, die gekonnt die Stöcke für den Winter vorbereitet, die jungen Triebe fallen auf den Boden. Sie erklärt uns die Kunst des Weinbaus. Die Mittagsglocke vom Dorf in der Ferne läutet. 
„Wohlan, ich will singen ein Lied vom Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte“.
Zum Abendessen fahren wir nach Riquewihr, dem malerischen Weinstädtchen hinter den Hügeln. Gleich hinter dem Stadttor stehen die großen Anhänger voller Trauben. Sie fließen über große Laufbänder in die Kelterei. Berge von Trauben. Wir gehen durch die fachwerkgesättigte Hauptstraße. Das Lachen und das Echo lebendiger Gespräche schallt aus den Restaurants. Wir kehren ein. Ein Zweier-Tisch ist noch frei. Flammkuchen, der Gewürztraminer veredelt die Speise. Vom Weinstock zur Kelter zum Restaurant. Pralles Leben. „Dass der Wein erfreue des Menschen Herz“. Kultur, solange es Menschen gibt auf dieser Erde. Pflege der Lebenslust. Gäste im Nebenraum singen. Lieder vom Wein. Ich erinnere sie, wir haben sie selbst in Ostfriesland gesungen. „Wenn das Wasser im Rhein goldener Wein wäre“. „Trink, trink Brüderlein, trink“. Kröver Nacktarsch, Gimmeldinger Meerspinne, Amselfelder. Ich will singen ein Lied vom Weinberg. Der Prophet steht auf dem Marktplatz und singt sein Trinklied, die Leute summen mit.
Wie geht es uns gut! 70 Jahre keinen Krieg, wachsender Wohlstand, Freiheit, wir sind gesund, manche schon sind geimpft, die anderen werden folgen. Guter Boden entwickelt. Demokratische Ordnung. Ein Zaun drum herum, das Grundgesetz, die Zehn Gebote. Sie schützen die Freiheit, das sie nicht durch Krieg der Generationen, Mord, Untreue, Diebstahl und Lüge gefährdet ist. „Mein Freund hatte einen Weinberg auf fetter Höhe“.  Plötzlich stürzt sein Lied ab. „dass er gute Trauben brächte, aber er brachte schlechte“. Zu nichts nütze. Schlechter Jahrgang, schlechter Wein, gar kein Wein. Plötzlich verändert sich in Vers 3 das Subjekt. „Richtet zwischen mir und meinem Weinberg“. Der Freund, der Weinbergbesitzer ist Gott selbst. Er hat die Nase voll.
 
Er überlässt den Weinberg sich selbst. Der Boden nicht durchlüftet. Dornen und Disteln werden die jungen Triebe ersticken. Die Zäune eingerissen. Regen bleibt aus, selbst die ältesten Weinstöcke überleben es nicht und vertrocknen. Er wird in den folgenden Versen konkret, was da wüst liegt. Der Gemeinsinn ist verwahrlost.
„Weh denen, die den Schuldigen gerecht sprechen für Geschenke“. Da verdient ein Abgeordneter am Verkauf der Masken 600.000 €. Hatten Sie das für möglich gehalten?
„Weh denen, die Männern Rauschtrank mischen“.  Da finden sie diese Woche in Hamburg 16 t Heroin, Marktwert über 1 Mrd. Bauern pflanzen es an in Ecuador, Bolivien, um zu überleben, Verbrecher verdienen daran. Menschen unter uns brauchen es, um zu überleben. „Weh denen, die Unrecht herbeiziehen in Stricken der Lüge“ Das ganze Finanzsystem der Spekulation ist auf Pokern, Bluffen und Lügen aufgebaut und hat die Kultur des Kredits, des Vertrauens verwüstet.
„Weh denen, die ein Haus zum anderen bringen“. Die Mieten in der Stadt steigen, Geschäfte stehen leer, die Vermieter schreiben es steuerlich als Verlust ab.
„Weh denen, die mit aufgerecktem Hals, mit lüsternen Augen trippeln und haben kostbare Schuhe an ihren Füssen.“ Welcher sündhafte Reichtum wird zur Schau getragen, wie nimmt die Zahl der Armen zu. Kinder ohne Bildung, verwahrlost im Land der Schampus-Genießer. Das Recht wird unterlaufen mit Hilfe anonymer Konten auf den  Jersey- und Kaiman-Inseln. Ich wartete auf Rechtsspruch und siehe, da war Rechtsbruch.
 
Corona hat da alles verstärkt, was schon da war. Und wir trauern unserem schönen Weinberg nach. Und warten letzten März auf den Mai. Im Mai auf den Sommer. Im November auf den Januar, auf den März, nächsten Mittwoch warten wir auf Ostern. Morgen früh wird es nur Locken down heißen, weil die Friseursalons wieder öffnen.  Und Ostern warten wir auf den Sommer. Und sind müde und wund gerieben. Weil wir keine Vision eines anderen Lebens haben. Weil wir auf die Wiederkehr des Vorherigen warten, hoffen. Wir haben noch keine Sprache für die Situation gefunden. Sprache hilft immer auch zur Bewältigung. Bisher reden wir von neuer Normalität, von 7-Tage-Inzidenz, FFP2-Masken, Ausgangsbeschränkungen, Durchfeuchtung, Immunausweis, Systemrelevanz, Zwangs-Impfung, AHA-Regel, Eindämmungsmaßnahmenverordnung. Alles hässliche Worte, nur Lockerungen gefällt mir, das kenne ich aus der Gymnastik. Alle Worte ohne Poesie. Das Dilemma ist ja auch nicht poetisch. Ja, es kommt, sagt der Chefredakteur der ZEIT, die Besserung und fügt an: „Und wenn nicht“? Die Theologen haben keine Antwort. Die Philosophen quälen sich immerhin. Das stolze autonome Individuum ist gekränkt und verunsichert. Hätten Sie im letzten Februar noch gedacht, dass wegen der drohenden Überlastung von Intensivstationen ganze Wirtschaftszweige still gelegt werden? Sind wir auf dem Weg, unsere individuellen Eigeninteressen zu verlassen? Der Philosoph Bruno Latour schreibt letzte Woche: Der Weg nach Corona wird nicht von der Politik und den Experten gezeichnet werden, sondern von der Zivilgesellschaft, also von unserem Engagement, unserer Einsicht, unserem Gemeinsinn. „Kein freies Herumschwirren im grenzenlosen Horizont individueller Mobilität“. Als wären die Grenzen nur dazu da, sie zu durchbrechen. Nein, Grenzen markieren unsere Freiheit, schützen sie. Der Weinberg ist umzäunt. Wir müssen wieder mit der Natur rechnen, nicht gegen sie. Vier Konsequenzen sagt der indische Philosoph Partha Dasgupta. Weniger konsumieren. Weniger Kinder. Ressourcen der Natur mehr nutzen. In Naturschutz investieren. Anderes Verhältnis zum Tier entwickeln. Wir sind stolz, dass wir individualistisch gesinnt sind, ja, das haben wir der Aufklärung im 18 Jh. zu verdanken. Leben in Freiheit und Verantwortung. Nur, unsere Lebenswelt verwechselt das mit „privat“. „Privare“, lateinisch, bedeutet „ausrauben“. Wir verhalten uns privat. Gemeinsinn ist nötig. Gesunder Menschenverstand, wir haben doch alle Lebenserfahrung.
Hannah Arendt sagt: An der Stelle des anderen denken. Gemeinsinn entsteht durch gemeinsames Handeln. Ihr Feind ist die Lüge.
Der Gott, der den Weinberg verwahrlosen lässt, der ist verstörend. Wer liebt, dem ist die Enttäuschung umso größer.
Jesus kannte seinen Propheten Jesaja auswendig. Er zitiert ihn oft. Er nimmt das Bild auf. Denn 600 Jahre später hat sich nichts geändert. Er erzählt die Geschichte von den Weinbergpächtern. Sie bringen die Boten um, als sie den Anteil von den Früchten holen wollen. Den ersten, den zweiten, den dritten, da schickt er seinen Sohn. Den bringen sie auch um. Jesus, Sohn Gottes. Was macht er? Er sammelt sich 12 einfache Kerle, dazu viele Frauen, sagt wie Leben gelingen kann. Er teilt mit ihnen den Kelch, gefüllt mit der Frucht des Weinstocks. Selbst der verlorene Judas darf mittrinken. Und dann schickt er sie auf den Weg. Den Weg des Gemeinsinns.
Ihre Nachfolger sind wir. Wer sonst, wenn nicht wir. Geschrei über Schlechtigkeit, das können wir uns sparen.
Undenkbar, wir kommen im Herbst wieder nach Kientzheim und alle Weinhänge und -felder sind verwüstet. Undenkbar. Nein, wir leben uns zum Heil und dem Nächsten zum Wohl.
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