Bildung braucht Religion – der 12jährigen Jesus im Tempel Heinz Behrends, Superintendent i.R.
Lernen durch Wiederholen
Jedes Jahr gehen Maria und Josef mit ihrem Sohn auf dem Pilgerweg nach Jerusalem.
Gut, wenn Du als Kind mit Traditionen, mit Wiederholungen groß wirst. Religion einüben durch Wiederholung. 7 Tage nach der Geburt ist das Kind bei den Eltern, so lange wie Gott gebraucht hat, die Welt zu erschaffen. Am 8. Tag gehen die Eltern nach Jerusalem in den Tempel. Geben das Kind symbolisch Gott zurück, Vater und Mutter empfangen es ein zweites Mal aus Gottes Hand. „Das ist mein Kind. Sorgt für ihn.“ Ein Junge wird dazu noch am 8. Tag beschnitten. Nun gehörst du sichtbar zum Volk Gottes. „Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passahfest.“
Wenn ich als junger Pastor in den 70zigern in die Taufregister der Goldenen Konfirmanden schaute, sh ich, dass sie fast alle 8 Tage nach der Geburt getauft waren. Und wenn die Mutter nicht zur Kirche kommen konnte, war die Taufe zu Hause oder die Hebamme hielt das Kind über die Taufe.
Als Jesus 12 ist, gehen seine Eltern wieder wie jedes Jahr nach Jerusalem.
Mit 12 wird ein Junge erwachsen.
Im Griechischen steht da „Pais“. Der Jüngling, der Junge. Der religiöse Brauch ist überliefert seit Moses Zeiten, er nimmt ihn aus der engen Welt Nazareths, aus der Lehmhütte mit Dachterrasse, aus der Werkstatt des Zimmermanns heraus. Bewegen, um sich die andere Welt zu erschließen. Jedes Jahr hört und sieht er die zentralen Geschichten des Glaubens.
„Ihr Enkelkind ist aber interessiert“, sagt die Küsterin, „die war ja so aufmerksam im Gottesdienst. Wie alt ist sie?“ – „Sie ist 4. Wanda geht sehr gerne in den Gottesdienst“, sagt die Großmutter. „Sonntägliches Training sozusagen“, schmunzelt die Küsterin. „Wenn sie uns besucht, will sie immer mit. Die vielen Statuen der Maria und das Altarbild. Es gibt hier so viel zu sehen“. Wenn sie 12 ist, hat sie viele Geschichten verinnerlicht.
Ja heute, da hat sie in der ersten Reihe gesessen und während der Predigt geflüstert: „Wer ist das, die da unten am Kreuz kniet, Großmama“? „Das ist Maria Magdalena, die hat Jesus besonders lieb“. Warum hat sie ihn so lieb? – „Viele Leute haben schlecht über sie geredet, sie hatte keinen Mann und keine Kinder, aber Jesus hat sie lieb.“ –„Und deshalb hatte sie Jesus besonders lieb“, antwortet erleichtert Wanda. „Genau“. Und Wanda buckt sich wieder an.
Eigene Wege entdecken und fragen
Jesus buckt sich nicht an seine Mutter, als sie den Heimweg nach dem Fest antreten. Er bleibt allein in Jerusalem zurück.
Sie merken es erst am Abend, als sie die Zelte zur Rast aufschlagen. Sie wähnen ihn bei den Verwandten. Die Gemeinschaft der Verwandten und Bekannten ist so groß, dass man sein Kind den ganzen Tag unterwegs aus den Augen lassen kann, ohne sich zu sorgen. Großfamilie entlastet. Ein ganzes Dorf erzieht ein Kind, heißt es in afrikanischer Tradition.
Zurück in Jerusalem suchen sie ihn drei Tage. Drei Tage wie später vom Kreuz bis zum Ostermorgen. Im Tempel haben sie ihn nicht vermutet. Er ist ja noch ein Kind, denken die Eltern. Denkste.
Er erklärt, warum er im Tempel geblieben ist, aber seine Eltern verstehen das nicht. „Ich muss sein in dem, was meines Vaters ist“, sagt er. Klingt rätselhaft für sie.
Jesus löst sich ab. Und sie können ihn auch nicht verstehen. Sie sind noch zu sehr beschäftigt mit dem Schmerz, dass er nun ohne sie auskommt. „Mein Sohn, warum hast du uns das angetan? Dein Vater und ich haben große Schmerzen gehabt. Maria sagt, Josef ist dein Vater.“ Die Mutter ist noch ganz bei sich. Hier steht nicht „pais“ sondern „teknon“ im Griechischen. Das bedeutet Kind, Kindlein. Sie hat doch noch ein Kind in ihm gesehen. Lukas spielt mit dem Begriff „Vater“. Sie finden ihn mitten unter den Lehrern wie er zuhört und fragt.
Zuhören und fragen. So wird ein Kind groß. Aus dem Zuhören kommen die Fragen. Aus dem Sehen, dem Beobachten. Warum steigen die Blasen im Wasser hoch? Kommt der tote Vogel im Garten in den Himmel?
Im Tempel waren offensichtlich kluge Lehrer.
„Papa, wo ist Gott“, fragt Wanda. „Gott, der ist überall“. „Wenn ich jetzt in die Hände klatsche, tue ich dann Gott weh?“ – „Nein, Gott ist nicht in der Luft, er ist bei dir, in deinem Herzen, in deinem Kopf“.- „Wie kann denn Gott in meinen Kopf kommen?“ – „Wenn ich dir Geschichten von ihm erzähle, dann kommt er in deinen Kopf und in dein Herz“.
Wir wundern uns über die Fragen unserer Kinder. Klug, überraschend. Noch viel mehr wunderten sich die Schriftgelehrten über Jesus, über sein Wissen, über die Fragen und Einsichten. Offensichtlich argumentiert er schon. Sie wundern sich über seinen Verstand.
Lehrer hören dem Kind zu. Er argumentiert.
Den Eltern wird er immer fremder. „Sie verstanden die Worte nicht, die er sagte“, heißt es erneut. Eltern allein reichen nicht, du brauchst Lehrer, die dir zeigen, was sie lieben.
Ich bin auf einem armen Bauernhaus groß geworden. Mein Konfirmanden-Unterricht bestand jede Stunde aus der Ordnung der Vesper, der Pastor sang, wir antworteten. Er zeigte, was er liebte. Ich lebte zwischen Misthaufen und Liturgie. Und liebe sie bis zu dieser Stunde.
Wir mussten in der Mittelschule jeden Morgen in Deutsch ein Gedicht aufsagen. Unser Lehrer, er hieß Pasternak, er liebte die Lyrik. „ Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll, ein Fischer saß daran..“ Unsere Kinder lernen heute James Krüss. „Feuer“. „Hörst du, wie die Flammen flüstern, knicken, knacken, krachen, knistern“.
Aufwachsen in einem Zuhause
Ja, und dann ist die Pilgerreise der Familie nach Jerusalem vorüber. Sie gehen heim nach Nazareth, zurück in den Alltag, in die Werkstatt.
Und Jesus hört auf seine Eltern. Er respektiert sie, der Heranwachsende. „Und er war ihnen gehorsam“. Und seine Eltern sind klug. Das Kind einen eigenen Weg gehen lassen, aber sich
Respekt verschaffen. Wachsam sein. „Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.“ Noch einmal geschieht, was nach dem Wunder der Geburt geschah. Die Mutter bewahrt, was geschehen ist und bewegt es in ihrem Herzen.
Die Kindheitsgeschichte schließt mit „Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ Ein Wachsen ist das.
Lukas erzählt die Geschichte, wie es nach der Geburt weitergeht. Gott ist Mensch geboren. Er liefert sich dem menschlichen Leben aus. Er ist Kind wie du. Er ist Jugendlicher wie du es warst. Seine Eltern haben ihn gut erzogen. Und sie haben ihm einen festen Rahmen gegeben, ihm gezeigt, dass man an den Grenzen groß wird.
Ich musste, bis ich 20 war, um 10 Uhr abends zu Hause. Weil meine Mutter morgens um ½ 5 zum Melken aufstand und nicht nachts auf ihren Sohn warten konnte. Heilende Grenzen setzen.
Maria und Josef haben ihren Sohn in die Welt der Religion eingeführt und ihm Bildung ermöglicht. Er kennt seine Bibel, die Psalmen, sie helfen ihm später bis ans Kreuz „Warum hast du mich verlassen“. „Herr in deine Hände befehle ich meinen Geist“. Er kennt den Mose. Sonst hielte er keine Bergpredigt. Seine Eltern haben ihm Religion beigebracht durch Feste, durch Erzählungen, durch Auswendiglernen, durch Wiederholen.
Bildung braucht Religion. Lernen durch zuhören und fragen.
Das Wort Bildung hat ein Mann im Mittelalter eingeführt. Der Mystiker Meister Eckhard aus Erfurt. Bildung heißt: Das Bild Gottes, der in Christus Mensch geworden ist, in seinem Herzen tragen. Herzensbildung. Also nicht Wissen abfragen. PC bedienen, das ist eine Fertigkeit, Fähigkeit. Bildung ist Herzensbildung.
Jesus lernt in seiner Familie und in seiner Gemeinde. Seine Mutter muss später erfahren, dass ihr Sohn nicht ihr gehört. Familie ist, wer an Christus glaubt. Wir sind eine Familie, wir, die wir hier heute in der Klosterkirche sitzen und all die anderen auch. Nicht blutsverwandt, sondern Verwandte im Geist.
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