Predigt über Joh 13, 21-31 am 21.2.21 in der Klosterkirche Nikolausberg

Sun, 21 Feb 2021 19:05:59 +0000 von Thomas Markschies

Predigt
© Heinz Behrends
Sup.i.R. Heinz Behrends
Am 28.August 1960 stellt der Franziskanerpater Berthold B, ein Priester deutscher Herkunft, beim lateinischen Patriarchen von Jerusalem einen Antrag. Man möge ein förmliches Verfahren einleiten mit dem Ziel, Judas selig zu sprechen.
 Seine Beweisführung war einleuchtend. Wenn durch den Kreuzestod Jesu von Nazareth das Heil in die Welt gekommen sei und die Menschen von der Macht der Sünde erlöst, dann müsse ein Mensch doch dafür sorgen, dass Jesus gekreuzigt wird. So erzählt Walter Jens in seinem Buch „Der Fall Judas“. Recht hat er. Wie kann man Judas dann zu einem Verräter abstempeln. Und wie können Christen darauf einen ganzen Holocaust gut heißen.

 Der argentinische Schriftsteller Luis Jorge Borges geht noch weiter. In seinen „Drei Fassungen des Judas“ sagt er: Jesus hat nur einen Nachmittag gelitten. Judas leidet bis zum Ende der Geschichte, ist er diffamiert. Deshalb ist er die eigentliche Fleischwerdung Gottes. In seiner Verworfenheit und Einsamkeit. Ein starkes Stück. 
Die Evangelien sehen das anders. Sie werden in einer Zeit geschrieben, als die jüdische und die junge christliche Gemeinde Gegner, ja Feinde waren. Über dies trägt er den Namen seines Stammes der Juden, die anderen kommen aus Galiläa. 
Matthäus sagt, er bietet seinen Verrat gegen Geld an. Niederträchtige Gründe. Bei Markus bieten die Hohepriester Geld an. Lukas bestätigt das und sagt, der Satan sei in ihn gefahren. Judas war der Kassenwart der Jüngergruppe. Deshalb wird er auf alle Darstellungen als Verschlagener mit dunklem Gesicht mit dem Geldbeutel dargestellt. Geldgier, das versteht jeder. Am stärksten ist Johannes in der Deutung der Tat des Judas. „Da fuhr der Satan in ihn“. „Was du tust, das tue bald“. „Und er ging hinaus und es ward Nacht“.  Judas verschwindet in der Dunkelheit und Jesus sagt zu den Elfen: „Jetzt wird der Menschensohn verherrlicht werden“. Judas, vom Satan getrieben, vollendet das Heilswerk Gottes durch Jesus. Auch ein starkes Stück.
Judas, der Verräter. Er ist schuldig gesprochen bis heute. Obwohl, was ist Schuld? Schuld ist, wenn du jemanden schädigst. Sie hätten Jesus auch ohne Judas gefunden und umgebracht. Schuldig?
 Was ist Schuld? Die Juristen markieren drei Schritte in ihrer Feststellung einer Schuld. 1)Straftat  2) Rechenschaft, also Vorsatz oder mildernde Umstände 3)Strafe.  Das ist der Außenaspekt. So schützt sich eine Gesellschaft durch Rechtsprechung. So war der Verrat an die Stasi in der DDR übrigens nicht strafbar. 
Aber es gibt den Innenaspekt der Schuld. Und der ist ungleich schwerer. Der große jüdische Schriftsteller Amos Oz verarbeitet das in seinem Buch „Judas“. Judas sieht Jesus sterben und bereut. „Ich habe ihn nach Jerusalem getrieben. Er wollte nicht. Am Ende hat er es getan. Ich dachte, in der Stadt vor den Mächtigen wird er seine Kraft beweisen und das Reich Gottes errichten“. Aber er hat es nicht getan. Ich bin schuldig, sagt Judas. Ja, ich fühle mich schuldig. Obwohl das Gesetz es nicht sagt.
Sich schuldig fühlen. Wann hast du dich das letzte Mal schuldig gefühlt? Sicher nicht selten. Es gibt in unserem christlichen Glauben eine Bewältigung. Ich bereue, ich bekenne. Bitte, entschuldige  mich. Übrigens, achten Sie mal drauf: Die meisten sagen, ich entschuldige mich. Das ist Quatsch. Ich kann mich nicht selbst entschuldigen für eine Fehltat. Das muss der Geschädigte tun. Gott spricht frei. Sich selbst verurteilen, quält. Ich krieche in das Urteil Gottes über mich, sagt Luther.
Judas hat niemanden, den er bittet. Deshalb quält er sich. Und –so Matthäus- erhängt er sich.
 
Die Gegenfigur, nicht nur bei Johannes, ist Petrus. Er ist genau so leidenschaftlich wie Judas. Niemand zwingt ihn zu versprechen, Jesus niemals zu verleugnen. Er bekennt es aus freien Stücken. Und dann,  als es brenzlig wird, dort im Hof bei den Mägden und Knechten: „Bist du nicht einer von ihnen“, da sagt er: „Ich kenne den Menschen nicht“. Sein Leugnen ist keine Straftat, auch keine Schuld. Er schädigt ja Jesus nicht, der ist ja schon verhaftet.
„Und er ging hinaus und weinte bitterlich“. Er schämt sich. Scham ist etwas anderes als Schuld. Scham geschieht in der Öffentlichkeit. Öffentlich bekennt er seine Treue und in der Öffentlichkeit der Mägde bricht er sie. Er ist bloß gestellt. Hat sich selber bloß gestellt. Über Scham steht nichts im Gesetzbuch. Ist aber schwerer zu bewältigen als Schuld.
 
Ein Exkurs: Wir haben in unserer westlichen Lebenswelt eine Schuldkultur, aber keine Schamkultur. In Afrika gibt es das noch. Die Gemeinschaft formuliert die Werte. Wer dagegen verstößt, der schämt sich, nicht weil er jmd verletzt hat, sondern gegen den Konsens verstoßen. Wir kennen das noch von früher bei uns. Ein Kind hatte seine Hausaufgaben nicht gemacht oder gelogen: „Schäm dich, in die Ecke“.
Man kann an Scham und Schuld den Wandel in unserer Gesellschaft beschreiben. Keine Gemeinschaft, die auf die gemeinsamen Werte achtet, sind wir mehr. Nein: Eine Ich-Gesellschaft, die nach der persönlichen Schuld sucht. Wenn irgendwo was passiert, ein Zugunglück, ein Bergunglück, dann wird gefragt. Wer hat das zu verantworten? Wer ist schuld? Und die Boulevardpresse fällt über sie her. Darum schämen sich Politiker nicht. Leider.
Sigmund Freud, der große Erforscher der menschlichen Seele, sagt: Scham ist ein verdrängter Vorwurf. Also, ich bin schuldig geworden, ich höre den Vorwurf und verdränge ihn in die Scham. Also Scham kommt aus der Schuld.
Wie auch immer: Es ist schwer, mit der Scham umzugehen. Wann hast du dich das letzte Mal geschämt?
Ich persönlich habe im Zusammenhang meiner Scheidung schwer damit gekämpft. Die Schuldfrage ist sehr komplex in einer Beziehung. Ich habe mich geschämt. Mein Maßstab war, ein verlässlicher Ehemann zu sein, eine gute Ehe zu führen, bis dass der Tod euch scheidet. Ich bin an meinen eigenen Maßstäben gescheitert. Ich habe mich geschämt. Das ist der Innenaspekt der Scham.
 
Schuld wird verziehen dem, der darum bittet. Gott vergibt. Der Umgang mit Schuld ist klar und einfach. Mit der Scham ist das schwerer. Wo lasse ich sie? Jesus befreit am Ende den Petrus von seiner Scham. „Hast du mich lieb“, fragt er ihn dreimal. „Ja“, sagt Petrus. Und dann wird er mit einem Auftrag los geschickt in die Welt.
Der Trost für Judas ist dargestellt in einem Kapitell in der wunderbaren romanischen Kirche von Vezelay im Burgund. Da ist auf der einen Seite zu sehen, wie Judas sich erhängt, auf der anderen wie ein guter Hirte ihn auf den Schultern trägt, ihn wie ein verlorenes Schaf nach Hause bringt.
Denn ohne Judas kein Heil in dieser Welt. Wenn Petrus heilig gesprochen ist, so sollte Judas mindestens selig gesprochen werden.
 
Sup i.R. Heinz Behrends
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