Im Predigttext lese ich: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Jesaja 66,13
Abstand halten. Wenigstens anderthalb Meter. Das Gebot der Stunde. Die Corona-Epidemie verändert unser Leben. Wie gern möchte man die alten Eltern besuchen. Ein Kind, das aus dem Haus ist, in die Arme schließen. Freunde, die im Ausland leben, in der Nähe wissen. Aber es heißt Abstand halten.
Dieser Sonntag heißt Lätare, auf Deutsch „Freut euch!“, im Vorgriff auf Ostern. Auch die Natur greift vor, Osterglocken und Forsythien blühen schon und locken nach draußen. Aber die Feiern sind abgesagt, auch die Gottesdienste und im Supermarkt führen wir seltsame Tänze auf, um den Abstand zu wahren. Es ist ernst, sagt die Kanzlerin, und wir müssen es ernst nehmen.
„Freut euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie liebhabt!“ So beginnt der Abschnitt aus Jesaja 66, der uns an diesem Sonntag Mut machen soll. „Freut euch mit ihr alle, die ihr über sie traurig gewesen seid“. Es kann einen schon traurig machen, all die heruntergelassenen Jalousien, die geschlossenen Läden und die verlassenen Parks. Neben dem Mitgefühl für diejenigen, die krank sind, allein oder ohne Einkünfte, spüre ich vor allem Verunsicherung. Niemand kann sagen, wie wir mit dem Virus fertig werden, wann wir wieder zusammenkommen, zur Arbeit oder zur Schule gehen können. Die Unsicherheit ist groß trotz kluger Wissenschaftler, trotz der Heldinnen in der Pflege und an Supermarktkassen, trotz nachbarschaftlicher Solidarität und staatlicher Unterstützung. Wie
geht es weiter?
„Ich will euch trösten“, lässt Gott seinem verunsicherten Volk sagen. Die Worte im Buch des Propheten Jesaja führen uns ins alte Israel. Die Israeliten sind lange in der Fremde gewesen. Jetzt sind sie zurück, aber es ist nichts, wie es war. Der Tempel war zerstört. Er ist wieder aufgebaut, aber kleiner als der erste. Genauso ist ihr Vertrauen geschrumpft in das Heil, das Gott angesagt hat. Das Land trägt Spuren der Verwüstung. Zwei Kapitel lang Klagen im Buch Jesaja. Auch Gott wird angeklagt: Er hält sich verborgen.
„Ich will euch trösten“. Wörtlich steht da: Wie einen Mann seine Mutter tröstet. Vorher hat Jesaja von Kindern geredet, die werden getragen, auf den Schoß gesetzt, an die Brust genommen. Es könnte aber auch ein Erwachsener sein. Es ist viel ungewöhnlicher, Zeugin einer solchen Begegnung zu sein: Ein Erwachsener kommt zur Mutter und wirft sich ihr in die Arme wie ein Kind. Gott, zu dem Israel sonst „Vater“ sagt, wird jetzt mit einer Mutter verglichen. Ihr Trost verändert alles. Das Leid verschwindet nicht durch den Trost. Nicht das heillose Durcheinander im Land. Nicht die Trauer des jungen Mannes, der seinen Vater verloren hat. Nicht die Einsamkeit der Frau, die allein am Tisch sitzt. All das verschwindet nicht. Und doch ändert der Trost etwas. Im Herzen der Getrösteten und im Herzen der
Trösterin. Ich bin da, sagt Gott. Ich halte dich. Wie eine Mutter das Kind. Ich spüre deinen Herzschlag. Keine Träne, die du weinst, bleibt ungezählt. Zwischen Gott und dich, so hat jemand es ausgedrückt, passt kein Blatt Papier.
Ich sehe einen Zettel am Laternenmast. Sechshundert Freiwillige bieten Nachbarschaftshilfe an. Einkaufen, Wäsche, Hundespaziergang. Gottes Tröster sind unterwegs! Später sitze ich auf dem Kirchplatz. Eine Frau bleibt stehen, anderthalb Meter entfernt. Ich bin erst hergezogen, ruft sie herüber. Von meiner Wohnung aus höre ich die Glocken läuten. Das ist jetzt so wichtig, sagt sie. Ich bete das Vaterunser. Ich weiß, andere beten es auch. Wir sind verbunden.
Gott hält uns fest. Wie eine Mutter ihr Kind. Das Leid verschwindet nicht gleich. Aber die Freude wird zurückkehren und wir werden einander in die Arme schließen. Bis dahin bewahre der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Den vollständigen Predigttext für den Sonntag Lätare finden Sie in Jesaja 66,10-14
Charlotte Scheller