Predigt Christvesper 2020 in der Klosterkirche Nikolausberg

Fri, 01 Jan 2021 15:40:29 +0000 von Christian Bode

Liebe Gemeinde, viererlei konnte uns Corona in diesem Jahr nicht nehmen.

Geschenke
Familie
Stille
 Erinnerung
 
Geschenke
Ich wollte kurz Blumen kaufen am Eichendorffplatz, es war der 15. Dezember, letzte Woche. Gegenüber die Apotheke, menschenleer. Ich dachte, geht du kurz rüber. Es gibt ja ab heute die PPF2 Masken für die Älteren. Ich frage erst noch etwas schüchtern nach Salbei-Bonbons. Dann „Heute gibt es doch diese Masken für uns“. Die Apothekerin lächelte. „Alle ausgeben“.
„Boah“. „500 haben wir heute zwischen 8 und 11 ausgegeben, 3 für jeden“. „Dann sind das ja etwa 170 Leute“. „Ja, die standen Schlange bis hinten auf die Straße, ohne Abstand“.
Die Masken waren ein Geschenk der Bundesregierung. Geschenke haben eine große Faszination. Die Leute im Ostviertel hätten sich doch vor dem 15.12. Masken kaufen können. Ich habe mal nachgeschaut. Bei REAL 30 Masken für 26,90 €. Das könnten sie sich doch leisten. Aber, als sie geschenkt werden, sind sie sofort da.
Ich erinnere mich. Als damals der MEDIA-Markt in Göttingen eröffnet wurde, meldete der NDR einen Stau auf dem Zubringer von der Autobahn. Es gab einen Kugelschreiber als Geschenk.
Beschenkt werden, das ist toll. Es hat eine Kraft. Ich werde beachtet, ich werde überrascht. ICH bin gemeint. Jemand hat Beziehung zu mir. Ich muss dafür nichts tun.
Wie viele Geschenke bringen in diesen Tagen die neuen Himmelsboten in den gelben VW-Transportern ins Haus. Geschenke.
 Die Hirten müssen auch nichts dafür tun. Denn Gott kommt in ihre Lebenswelt. Sie werden überrascht mit etwas, das sie nicht erwartet haben. Ein Kind. Urbild des Vertrauens. Was für ein Geschenk!
 
Familie
Das waren unruhige Tage vor Weihnachten. Treffen, nicht treffen, gefährden wir uns, infizieren unsere Eltern, Großeltern? Können doch den Sohn nicht allein in München lassen!
Weihnachten das Fest der Familie. Eine unbändige Kraft hat das. Es wird alles getan, sich zu treffen, auch die Gefährdungen zu minimieren. In Zeiten, in denen Familie so viele verschiedene Formen angenommen hat. Auch die Alleinerziehende ist Familie. Familie bleibt. Wir werden miteinander groß. Das beste Trainingsfeld, um ich selber zu werden. Mich zu messen am Bruder, an der Schwester.
Die Süddeutsche erklärte gestern etwas sarkastisch. Die Kirchen werden dieses Jahr leer bleiben. Die Christvesper sei nur das Hintergrundsgeräusch einer klein-bürgerlichen Familienideologie, auf die man in Corona-Zeiten verzichten kann. Sie bleiben heute weg. Heute kommen nur die Harten, die in den Garten kommen, die Unverbesserlichen.
In Bethlehem ist da so ganz anders. Familie? Der gehörnte Mann Josef nimmt die Schuld auf sich, um seine Frau zu schützen.  Und der Stammbaum Jesu, den müssen Sie sich mal anschauen in Matthäus 1. Da werden 4 Frauen genannt. Tamar, sie schläft mit ihrem Schwiegervater um ein Kind zu bekommen, weil ihr Mann Onan es nicht will. Rahab, die Hure, die die Kundschafter bei sich versteckt hält. Bathseba, sie vollzieht mit David den Ehebruch. Nur Ruth, sie bleibt nach dem Tod ihres Mannes bei ihrer Schwiegermutter. Eine treue Seele. Haben Sie solch einen Familienstammbaum zu bieten?
Familie bedeutet, man wächst miteinander. Familie bleibt wichtig, von Corona unberührt.
In Bethlehem ist nicht die heile Familie, die gibt es nicht. Dort ist die heilige Familie. Heilig, weil sie weiß, dass sie zu Gott gehört.
 
Stille.
Ja, die Stille, die haben wir die letzten Tage bekommen. Der Marktplatz in der Stadt war menschenleer, keine hastigen Einkäufe, kein Parfum in der Drogerie, keine Socken bei Karstadt. Die Stille haben wir uns immer gewünscht. Stille Nacht, heilige Nacht. Jetzt haben wir sie. Stille kann mancher nun doch nicht aushalten. Wir genießen sie.
Stille ist nicht stumm sein, auch nicht Schweigen, also nicht verborgene Worte, unausgesprochen. Stille ist kreativ. Stille Nacht, einsam wacht. Die Stille hält unsere Hoffnungen wach. Und schafft Raum zum Nachdenken.
Das Wort des Jahres 2020 ist nicht „Pandemie“, sondern Vulnerabilität.
Ich gehöre seit diesem Jahr zur Redaktion der bundesweiten Zeitschrift „Kirchenpädagogik“. Wir sitzen im Januar in Frankfurt zur Vorbereitung der neuen Ausgabe zusammen. Christoph schlägt vor: „Wir machen eins über Vulnerabilität“. „Oh Gott“, denke ich, „was ist denn das“? Ich will erst verstohlen unterm Tisch auf meinem smartphone Wikipedia aufschlagen, dann denke ich. Komm her, ich steh dazu. „Christoph, was ist Vulnerabilität“- „Verwundbarkeit. Wir sind verwundbar.“ – „Interessant, aber ist das ein Thema für unsere Zeitschrift?“ – „Doch, wir haben das Kreuz in den Kirchen, die verwundeten Heiligen, überhaupt ist Leiden doch unser Thema.“ „Ach, nee“. Wir entscheiden uns für das Thema „Auferstehung. Ostern“. Ich bin zufrieden.
8 Wochen später hat Corona uns alle erfasst. 
Wir sind verletzbar, verwundbar. Das wußten wir schon immer. Aber jetzt spüren wir es leibhaftig. Was macht das mit uns? Bedenken wir es in der Stille.
 
Erinnerung
Jeder hat konkrete Erinnerungen an die Weihnachtsstube seiner Kindheit. Wie der Baum aussah. Wie Vater oder Mutter uns reingeholt hat. Es ist das einzige Fest, dass unsere Kinder feiern wie es unsere Väter und Mütter getan haben. So stabil. Da kommt die Tochter Weihnachten aus München nach Hause. Mutter hat mal ansatzweise den Baum anders geschmückt. „Das musst du sofort rückgängig machen. Es soll so sein wie früher.“
Wir brauchen ein Geländer in Zeiten, in denen sich so schnell so viel ändert.
 Wie werden wir 2020 einmal erinnern?
„Weihnachten wurde durch Corona geschrottet“, schreibt der tolle Journalist Matthias Drobinski heute in der SÜDDEUTSCHEN. Ich schätze ihn sehr, aber da hat er nicht Recht.
Wir werden die tiefe Erkenntnis erinnern und bewahren: Corona hat das Schenken, die Familie, die Stille, die Erinnerung nicht zerstört. Und die Erkenntnis ist gewachsen, nicht neu, aber vertieft. Wir sind dankbar und verwundbar. Nahe an der Geschichte von Bethlehem. 

Superintendent i.R. Heinz Behrends
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